Bildungsurlaub digital – in NRW nun auch auf Dauer

Die Möglichkeit, Bildungsurlaub/Bildungsfreistellung auch digital zu realisieren, bedurfte erst der Corona-Pandemie, um eine Realisierungschance zu erhalten. Was als Ausnahme begann, ist nun in Nordrhein-Westfalen auf Dauer ermöglicht worden: mit einer Gesetzesnovellierung (Viertes Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes): „Da sich die befristete Regelung bewährt hat und die Digitalisierung auch in der Weiterbildung sachgerecht vorangetrieben werden soll“, hat der NRW-Landtag am 23. November 2022 in 2. Lesung einen entsprechenden Gesetzesvorschlag der Regierungsfraktionen CDU und Grüne und der Oppositionsfraktionen CDU und FDP angenommen. Beschwerden und „Missbrauch“ seien nicht bekannt geworden.

Die Seite des zuständigen Ministeriums für Kultur und Wissenschaft hat diese Entwicklung noch nicht verarbeitet – also hier der Gesetzesentwurf:
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-1356.pdf

„Wie Bildungsurlaub wirkt“

Die ganze Erwachsenenbildungs-Wissenschaft hat das Thema „Bildungsurlaub“ – immerhin relevant in 14 von 16 Bundesländern – in den letzten Jahren schmählich vernachlässigt. Die ganze Erwachsenenbildungs-Wissenschaft? Nein, hoch oben im Norden gibt es ein unbeugsames Nest der Befassung mit diesem so spannenden Thema, an der Universität der Bundeswehr nämlich…

Im Ernst: Die neue Studie von Christine Zeuner und Antje Pabst bringt endlich einmal empirisch auf den Begriff, wie wirksam die Teilnahme am Bildungsurlaub, besonders die mehrfache, für biografische Entwicklungen, Horizonterweiterung, Steigerung der Bildungsbereitschaft und gesellschaftliche Partizipationsfähigkeit sein kann. Der Nachweis von Bildungswirkungen ist ein großes methodisches Problem der Forschung, aber aus einer subjektwissenschaftlichen Perspektive heraus zeigen die Autorinnen solche erheblichen Potenziale auf und geben vielerlei Hinweise auf Unterstützungs- und Verbesserungsmöglichkeiten in Betrieben und Weiterbildungspolitik. Eine ausführliche Darstellung der Rahmenbedingungen fehlt in diesem neuen Grundlagenwerk auch nicht.

C. Zeuner und A. Pabst: Wie Bildungsurlaub wirkt. Eine subjektwissenschaftliche Studie zu langfristigen Wirkungen von Bildungsurlaub und Bildungsfreistellung, Frankfurt/M. (Wochenschau-Vlg.) 2022, 613 Seiten (ISBN 978-3-7344-1382-7) – Hier geht es zum Inhaltsverzeichnis.

Hessen: Mehr Online-Bildungsurlaub?

In Hessen wird über neue Regelungen nachgedacht, die der digitalen Teilnahme am Bildungsurlaub neue Chancen einräumen sollen: Wie Sozialminister Kai Klose Mitte Juli 2022 erklärte, arbeite man daran, hybride und reine Online-Veranstaltungen auf Dauer zu ermöglichen. Auch die Verteilung der Freistellungszeit soll im Interesse von  Teilzeitbeschäftigten flexibler gestaltet werden.

Hier der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Novellierung des Gesetzes.
Eine erste parlamentarische Lesung hat bereits stattgefunden; nun folgen Ausschussberatungen.

„Fünf Tage sind einfach viel zu wenig“

Wie die Bildungsfreistellungs-Seminare leider ein quantitatives Randgebiet der Weiterbildung sind, so ist auch die Fachliteratur zu diesem Thema dünn gesät. Also sind die an diesem Format Interessierten für Neues dankbar:
Antje Pabst/Christine Zeuner (Hrsg.): „Fünf Tage sind einfach viel zu wenig.“ Bildungszeit und Bildungsfreistellung in der Diskussion, Frankfurt/M. 2021 (Wochenschau-Verlag)
Die Herausgeberinnen nehmen Partei für selbstbestimmte Bildungsprozesse,  denn das berühmte Lernen „en passant“ ist eben doch nicht in allen Lebenslagen möglich, so dass die Bildungsfreistellungs-Gesetze in 14 Bundesländern weiter der Reflexion bedürfen. Dies wird hier aus unterschiedlichen Blickwinkeln – denen der Forschung, der Anbieter-Landschaft und der Teilnehmer*innen – geleistet. Dazu werden (die wenigen vorhandenen) Länderstudien ausgewertet, Blicke auf die Zeitformate geworfen sowie die Teilnahmemotive untersucht. Auch die Qualifizierung für freiwilliges Engagement als bislang wenig beachtetes Entwicklungspotenzial des Bildungsurlaubs wird gewürdigt. Gibt es mehr Chancen für blended learning und Online-Formate? Auch die Blickwinkel von Teilnehmenden haben die Expert*innen hier wenigstens ansatzweise eingefangen.

Trotz mancher Lücke also: ein aktuelles und anregendes Handbuch für die Profis (und mal wieder ein Hinweis darauf, wie sinnvoll mehr bundesweite Koordination bei diesem Them wäre)!

 

Auch Yoga kann Bildungsurlaub für jede/n sein!

Bildungsurlaubs-/Bildungsfreistellungs-Veranstaltungen mit gesundheitlichen Schwerpunkten werden in der Regel von Arbeitgebern und Öffentlichkeit sehr misstrauisch beäugt: Geht es da nicht eher um Privatinteressen? Viele der Ländergesetze heben sogar ausdrücklich darauf ab, individuellen Nutzen einer Teilnahme  zu vermeiden. Nur für Menschen, die selbst im Gesundheitsbereich arbeiten, waren solche Seminare weithin akzeptiert – als berufliche Fortbildung nämlich.

Nun hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Bandenburg vom 11. April 2019 einen neuen Akzent gesetzt (Aktenzeichen: 10 Sa 2076/18). In einer Entscheidung, die zu einem Yogakurs erging („erfolgreich und entspannt im Beruf mit Yoga und Meditation“) , hielt das Gericht fest: Das Ziel der beruflichen Weiterbildung sei nach der Gesetzeslage weit zu verstehen. Anpassungsfähigkeit und Selbstbehauptung zu erlernen, rechtfertige die Annahme als berufliche Weiterbildung.

„Zur beruflichen Qualifikation im Sinne von § 1 Abs. 4 BiUrlG zähle – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht lediglich die berufsfachliche Qualifikation, also die Fachkompetenz im engeren Sinne, sondern auch die persönliche und soziale Kompetenz, die gemeinsam erst im Zusammenspiel die sachgerechte und fortlaufende Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ermöglichen würden.“

(Nebenbei wird auch die Selbstverständlichkeit klargestellt, dass Bildungsurlaub nicht zugleich beiden in den Gesetzen stets genannten Zielen, der politischen und beruflichen Bildung, dienen muss.)

Der gesamte Urteilstext steht hier.

Dazu auch ein Bericht der Website LTO .

 

AdB-Fachtagung „Bildungsfreistellung“

Doch, es gibt gelegentlich noch Fachveranstaltungen zum Thema „Bildungsurlaub/ Bildungsfreistellung/ Bildungszeit“! Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten, bundesweiter Fachverband für politische Erwachsenen- und Jugendbildung, hat kürzlich eine ausgerichtet – auf dem Programm standen die aktuellen Rahmenbedingungen, Probleme der Anbieter sowie die politischen Perspektiven und „gute Praxis“. Ein großes Thema waren die Chancen einer bundesweiten Harmonisierung. Hier ist der Bericht dazu!

Der gleiche Verband hat übrigens vorbereitend schon 2018 ein Positionspapier zur Bildungsfreistellung erarbeitet.

„Gesetze, die geheim gehalten werden, taugen auch nichts.“

Aus einer relativ neuen Studie zum Bildungsurlaub stammt nicht nur diese schöne Überschrift, sondern auch das Fazit:
„Bildungsfreistellung … ist nach wie vor das einzige Instrument, das von allen Arbeitnehmer_innen genutzt werden kann, sich eine Auszeit für Bildung zu nehmen. Berufliche Weiterbildung verfolgt andere Ziele, ist hoch selektiv und funktionsbezogen. Bildungsfreistellung wird dagegen entsprechend ihrer ursprünglichen Idee Ausgangspunkt für Bildungsprozesse, die Menschen dazu
befähigen, Interessen zu entwickeln und begründet in subjektive Lernprozesse einzutreten, die nicht nur individuell, sondern auch kollektiv zu Veränderungen führen können.“

Das ist eines der Resümees, die Christine Zeuner und Antje Pabst in einer subjektwissenschaftlichen Untersuchung zur BU-Teilnahme und deren langfristige Wirkungen am Beispiel Rheinland-Pfalz ziehen.

„Bildungszeit“ in Baden-Württemberg evaluiert

Das Bildungszeit-Gesetz genannte Bildungsurlaubs-Gesetz von Baden-Württemberg wurde nun nach 3 Jahren Geltungsdauer vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung in Nürnberg evaluiert. Einige der Ergebnisse:

  • eine Quote der Inanspruchnahme von 1,1 % der Berechtigten (etwas höher bei Jüngeren und Höherqualifizierten),
  • 75 % der Nutzungen galten beruflicher Qualifizierung, 23,8 % der politischen Bildung,
  • durchschnittlich wurden 4,45 Tage des Anspruchs genutzt (in der politischen Bildung etwas kürzere Formate)
  • Förderung digitaler Kompetenzen und Aufstiegs-Fortbildungen scheinen eine große Rolle zu spielen,
  • die Zahl der Anbieter wächst langsam an,
  • ein Viertel der befragten Teilnehmenden berichtet von Konflikten, am stärksten in mittelgroßen Betrieben,
  • mehr Verständlichkeit der Regelungen und Entbürokratisierung werden von Vielen gefordert.

Hier eine Zusammenfassung der Resultate,
und hier der Evaluationsbericht.

 

„Bildungszeit“ auch in Sachsen?

Eine Kampagne für die nachholende Modernisierung des Bildungsrechts in Sachsen hat der DGB Sachsen gestartet. für ein Recht auf Bildungsfreistellung auch in diesem Bundesland (dem vorletzten, das ein solches Recht noch nicht kennt).

Prof. Sabine Schmitt-Lauff (Hamburg) meint dazu: „Fünf Tage Zeit für Lernen. Das ist viel Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren, für Diskurse – zum Austauschen von Kontroversen und Interessen. So viel Zeit nimmt sich der durchschnittliche Kurs, gerade im beruflich-betrieblichen Bereich, überhaupt nicht mehr. Das heißt, es entsteht wieder eine ganz neue Lernkultur im Erwachsenenalter. Das entfaltet auch andere Zeitqualitäten – auch das zur Ruhe kommen und reflektieren können.“

Der SPD-Arbeitsminister Dulig unterstützt dieses Anliegen, weist aber auf die fehlenden Mehrheiten für die Durchsetzung hin. Um bei den Landtagswahlen 2019 eine Änderung zum Besseren zu erhoffen, muss man sehr optimistisch sein…

Mehr zur Kampagne – Statements von Expertinnen, Politik, Interessenvertretungen –  unter https://www.zeit-fuer-sachsen.de/blog

Linke fordert Gesetzesänderung in Sachsen-Anhalt

Die Fraktion „Die Linke“ im Landtag von Sachsen-Anhalt hat soeben eine Erweiterung des Rechts auf Bildungsfreistellung beantragt: In ihrem Gesetzentwurf vom 18.1.2019  heißt es, dass die bisherige Begrenzung auf berufsbezogene Themen die Inanspruchnahme unnötig  reduziere  und außerdem nicht im Landesinteresse liege. Darum müssten die anerkannten Inhalte ergänzt werden um gesellschaftspolitische Bildung, kulturelle Bildung sowie die Qualifizierung für Teilhabe  und Ehrenamt.

Zum Entwurfstext