Bildungsurlaub in Hessen: neue Möglichkeiten

Das Hessische Bildungsurlaubs-Gesetz wurde im Dezember 2017 geändert, und zwar mit dem Ziel, die Nutzung zu intensivieren: Kleinbetriebe mit 20 oder weniger Beschäftigten können zukünftig einen Lohnkostenzuschuss von bis 50 Prozent der jeweiligen Lohnkosten erhalten. Eine Experimentierklausel  der neuen Gesetzesfassung wird es erlauben, internetbasierte Lehr- und Lernmethoden im Bildungsurlaub einzusetzen.

Der DGB lobte diesen schwarz-grünen Vorstoß; Unternehmerverbände kritisierten  (wie schon immer) die freie Themenwahl der Bildungswilligen. Das veränderte Gesetz ist am 1.1.2018 in Kraft getreten.

 

„Politische Weiterbildung“ im Streit

Der Begriff der „politischen Weiterbildung“ im Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg ist weit auszulegen. Dies hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg im August 2017 klargestellt. In der Berufungsverhandlung ging es um ein Seminar der IG Metall.
Das Gericht bezieht sich dabei auf einen Passus einer UNO-Vereinbarung. Unter dem Begriff der „politischen Bildung“ sei nicht nur reine Staatsbürgerkunde zu verstehen.
Mehr zu diesem Vorgang hier.

 

Dynamik à la Thüringen

Die Bildungsadministration in Thüringen zeigt sich bis heute überrascht und überfordert, dass am 1. Januar 2016 vollkommen überraschend (und erst im Sommer 2015 beschlossen!) ein Bildungsfreistellungsgesetz in Kraft getreten ist: Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes konnte noch kein Beschäftigter die bezahlte Freistellung nutzen, weil die entsprechende Verordnung für die Antragsverfahren fehlt! 100 Anbieter stehen in den Startblöcken, jedoch wird sich wohl vor dem Herbst  praktisch nichts mehr tun…

Inzwischen gibt es, mit 8monatiger Verspätung, eine Verordnung und die Zulassung der ersten 481 Angebote – 2/3 davon mit Arbeitsweltbezug, 1/3 gesellschaftspolitische Bildung.

Ein bisschen Empirie aus den Bundesländern

Es gibt ja noch Bundesländer, die einigermaßen kontinuierlich über die länderspezifischen Erfahrungen mit Bildungsurlaub/Bildungsfreistellung berichten. So haben Niedersachen und Rheinland-Pfalz 2015 erneut Berichte vorgelegt, die durchaus von allgemeinem Interesse sind.

Der „Elfte Bericht“ aus Rheinland-Pfalz (über die Daten 2013/2014) zeigt (mit 845 Institutionen) eine stabile Anbieter-Landschaft. Veranstaltungen der gesellschaftspolitischen Bildung machen 16 % der Anerkennungen aus, 84 % dienen der beruflichen Weiterbildung, 2% der Verbindung beider Bereiche. Die Quote der Inanspruchnahme beträgt (wie im Berichtszeitraum davor) 2 %, bei den Auszubildenden, deren Recht 2013 eingeführt wurde, 1,2 %. In der beruflichen Bildung gibt es einen Trend zu längeren Veranstaltungen, 42 % aller Veranstaltungen dauern länger als fünf Tage. Und bemerkenswerterweise haben Intervallveranstaltungen mit 30 % einen immer größeren Stellenwert erlangt. Arbeitnehmer unter 40 Jahren werden überdurchschnittlich gut erreicht, Frauen eher unterdurchschnittlich. Top-Themenbereiche der beruflichen Bildung sind Fremdsprachen und Kaufmännisches, in der politischen Bildung „Gesellschaft“ und „Deutschland“.

Aus Niedersachsen wird über die vier Jahre 2009-2013 berichtet: Der Anteil beruflicher Weiterbildung – lange Jahre bei ca. 50% – lag 2013 bei 58 %, die politische Bildung zeigte sich mit Anteilen zwischen 17 und 20 % stabil. 52 % der Teilnehmenden haben an Angeboten der anerkannten niedersächsischen Weiterbildungseinrichtungen teilgenommen. Die Inanspruchnahme des Rechts auf Freistellung konnte leicht gesteigert werden – von 1,25 auf 1,48 %; andere Berechnungsweisen, unter Berücksichtigung der betrieblichen Grenzen und der real beanspruchten Tage, kommen auf eine Quote um 3 %. Teilnehmende aus dem Öffentlichen Dienst sind deutlich rarer geworden, Kleinbetriebe konnte besser erreicht werden.

 

Argumente für den Bildungsurlaub

robak-BU-coverAuf die verdienstvolle Bremer Studie zu den Entwicklungschancen des Bildungsurlaubs und die daraus folgenden bildungspolitischen Empfehlungen wurde hier schon einmal hingewiesen (im Juni 2014). Inzwischen ist für die, die es genauer wissen wollen, auch die Gesamtstudie greifbar:

Steffi Robak/Horst Rippien/Lena Heidemann/Claudia Pohlmann (Hrsg.):

Bildungsurlaub – Planung, Programm und Partizipation. Eine Studie in Perspektivverschränkung – Frankfurt/Main 2015, Peter Lang-Verlag, 437 Seiten

Basis dieser mehrdimensionalen Studie sind Experteninterviews, statistische Analyse, Programmanalysen, Gruppendiskussionen und Teilnehmenden-Interviews. Neben den empirischen Befunden, von denen einige auch spezifisch für den kleinen Stadtstaat sein mögen, gibt es eine Reihe von Hinweisen und Argumenten, die für die allgemeine Debatte um Bildungsfreistellung relevant sein könnten – zum Beispiel:

  • Bildungsurlaub senkt die soziale Selektivität des Weiterbildungszugangs erkennbar ab: An solchen Seminaren partizipieren mehr Ältere, mehr Arbeiter und Angestellte, mehr Arbeitnehmer mit niedrigen Bildungsabschlüssen und aus der Industrie als an anderen Angeboten.
  • Biografisch bedeutsame Suchbewegungen im Übergang zwischen Politischem, Beruflichem und Privatem bleiben in diesem Format möglich und sind gesellschaftspolitisch erwünscht.
  • In den Bildungsurlauben der beruflichen Weiterbildung (mit einem starken Anteil von 39%) geht der Trend zur stärkeren Spezialisierung.
  • Die Informationslage zum Bildungsurlaub ist auch bei den Betriebsräten recht schlecht, so dass sie ihrer möglichen „Türöffner“-Funktion für eine Inanspruchnahme dieses Rechts mehrheitlich kaum gerecht werden.
  • Die Nutzer/innen surfen souverän zwischen den professionellen Anbietern – zwischen diesen haben sich offenbar Verweis- und Kooperationsstrukturen entwickelt haben, die ein trägerungebundenes Weiterlernen und „Anschlusslernen“ ermöglichen.

Eine Kampagne für den Bildungsurlaub!

Leider tun ja die Bildungs- und Kultusministerien der Bundesländer in den letzten Jahren nicht viel für die öffentliche Wahrnehmung der Bildungsfreistellung, es sei denn, „ihr“ jeweiliges Gesetz ist neu. In die entstandene Lücke springt nun unter dem Motto „HINTERHER IST MAN IMMER KLÜGER“  eine Kampagne des DGB-Bildungswerks – beginnend mit einer schönen und informativen Website www.bildungsurlaub-machen.de bzw. www.bildungszeit-nehmen.de (letztere Adresse für die Interessierten mit baden-württembergischen Hintergrund). „10 gute Gründe“, „Verbreitete Irrtümer über den BU“, eine Online-Broschüre und ein animiertes Video eignen sich sehr gut als Argumentationshilfen. (Da verzeihe ich doch den Kolleg/innen glatt, dass sie den Eindruck erwecken, es gebe ausschließlich gewerkschaftliche Anbieter…)

Mecklenburg-Vorpommern: Bildungsurlaub kränkelt

Trotz einer staatlichen Subventionierung der Bildungsfreistellung will der Bildungsurlaub im Bundesland MeckPomm nicht auf die Füße kommen: Die eingeplanten Haushaltsmittel zur Entlastung von Arbeitgebern blieben 2014 zu mehr als 50% ungenutzt!

Eine Gesamtzahl der Freigestellten hat die Landesregierung trotz entsprechender Bitte einer Kleinen Anfrage nicht errechnen lassen.  Anträge auf Lohnkosten-Erstattung gab es 2013 insgesamt 891 (und 391 Zahlungen), im Jahr 2014 waren es 723 Anträge und 313 Zahlungen.

Mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2013 war eine feste Quote (2 Drittel) dieser Zuschüsse für politische  und Ehrenamtsbildung  reserviert worden, um diese Themenbereiche zu stärken. Doch die Nutzungszahlen gingen weiter bergab – im letzten Jahr wurde der Zuschuss für lediglich 41 Teilnahmen an politischer Weiterbildung  ausgezahlt! Die Grünen fordern nun eine weitere Änderung mit dem Ziel, auch die Kursgebühren zu bezuschussen. Außerdem müsse endlich ein attraktives Bildungsangebot für ehrenamtlich Aktive aufgebaut werden.

(nach: Schweriner Volkszeitung, 9.9.2015 und
Landtags-Drucksache 6/3851))

Thüringen: Gesetz verabschiedet, Praxis ab 2016

Der thüringische Landtag bzw. seine rot-rot-grüne Regierungs-Mehrheit  hat am 9. Juli das Bildungsfreistellungs-Gesetz verabschiedet – gegen heftige Einwände aus Wirtschaft und Opposition, die die Regelung weiterhin für wirtschaftsfeindlich und entbehrlich halten.

Offenbar wurden in letzter Minute noch Änderungen vorgenommen – z.B. eine Einzelanerkennung jeder Bildungsveranstaltung vorgesehen. (Das ist nun wirklich unnötige Bildungsbürokratie – die anderen Bundesländer haben gute Erfahrungen mit einer „Trägeranerkennung“!) Die letzte und in Kraft gesetzte Gesetzesfassung ist hier veröffentlicht.

Entwurf für Thüringer Bildungsfreistellungsgesetz

Soeben hat der Landtag Thüringen den angekündigten Gesetzentwurf zur Bildungsfreistellung veröffentlicht. Fünf Tage Freistellung für politische, berufliche und ehrenamtsbezogene Bildung, „Überlastungsschutz“ für Arbeitgeber, die Anerkennung von qualitätstestierten Trägern (statt einzelner Veranstaltungen) sind die wichtigsten Merkmale des Vorgeschlagenen. Manche Details (etwa zu den anerkannten Gütesiegeln und zur Ehrenamtsbildung) sollen per Rechtsverordnung geregelt werden. Eine Verabschiedung im Sommer 2015 und ein Inkrafttreten am 1. Januar 2016 sind geplant.

thür-BFG

Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist hier dokumentiert.