Arbeitnehmerweiterbildung auch für Azubis in NRW geplant

Immerhin, man traut sich, an das „heiße Eisen“ Arbeitnehmerweiterbildungs-Gesetz (so heißt das Bildungsurlaubsgesetz in NRW) heranzugehen und den Kreis der Berechtigten um Auszubildende zu erweitern! Die NRW-Landesregierung hat soeben den Entwurf eines entsprechenden Änderungsgesetzes dem Landtag vorgelegt.

Die Forderung – vor allem der Jugendverbände und der Gewerkschaften – stand schon länger im Raum und fand mit dem Satz “ Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz wollen wir auch für die Bildung von jungen Menschen nutzen.“ Aufnahme in die rot-grüne Koalitionsvereinbarung von 2012. Die Sondierungsgespräche mit den Tarifpartnern haben nun offenbar ergeben, dass sich der (übliche) Widerstand der Arbeitgeber in Grenzen halten wird. Kein Wunder, rechnet man doch – in Anlehnung an hessische Erfahrungen – mit einer Nutzung von etwa 1 % der Berechtigten und einer „Belastung“ von 0,01 % der Personalkosten.

Vorgesehen sind insgesamt 5 Tage während der ersten beiden Jahre der Ausbildung. Und wie in anderen Bundesländern sieht die Regelung eine Bildungsfreistellung von Azubis nur für Veranstaltungen der politischen Bildung vor.

 

Schein-Debatten in BaWü

Es ist schon erstaunlich, wie hoch die Bereitschaft zu bildungspolitischen Geisterdiskussionen manchmal noch ist – jedenfalls beim Thema „Bildungsurlaub/Bildungszeit“. In Baden-Württemberg ziehen derzeit die Gegner der Bildungsfreistellung – Arbeitgeber und CDU-Opposition – alle Register, um den drohenden Absturz einer funktionierenden Ökonomie durch das geplante Bildungszeitgesetz auszumalen: Da geht man z.B. davon aus, dass alle Berechtigten das neue Recht in Anspruch nehmen. (Tatsächlich sind es in den Flächenländern nirgendwo mehr als 1 %). Oder der Kleinbetrieb wird ruiniert gesehen durch den Arbeitskraftausfall (als gebe es keine Erfahrungen mit Kleinbetriebeklauseln und Erstattungsregelungen, sogar in den „armen“ östlichen Bundesländern).

Wer hilft den Badenern und Württembergern aus dieser provinziellen Verzweiflung heraus und vermittelt ihnen mal ein paar Erfahrungen mit dem Bildungsurlaub?

 

„Bildungszeit“ in Baden-Württemberg

Die Vorsätze der grün-roten Landesregierung von Baden-Württemberg, auch im „Ländle“ zur Unterstützung des lebenslangen Lernens das Instrument der bezahlten Bildungsfreistellung einzuführen, werden weiterhin heiß diskutiert. Schon in der Koalitionsvereinbarung von 2011 angekündigt, werden nun im federführenden Wirtschaftsministerium bis zum Sommer 2014 Eckpunkte eines Gesetzes ausgearbeitet. Ein ambitionierter Zeitplan sieht parlamentarische Anhörungen im Sommer und ein Inkrafttreten zum Jahresbeginn 2015 vor.

Eine soeben vom Wirtschaftsministerium vorgestellte Infratest-Studie untermauert Notwendigkeit und Chancen: Sie zeigt unterdurchschnittliche Weiterbildungsteilnahme in Baden-Württemberg, besonders von Geringqualifizierten, ebenso auf wie eine hohe Bereitschaft, Bildungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Dem drohenden Fachkräftemangel könne mit dem „Bildungszeitgesetz“, wie das Vorhaben nun heißt, entgegengetreten werden. Diesem Optimismus widersprechen die Wirtschafts- und Unternehmensverbände und die Landtags-Opposition mit dem Hinweis auf Probleme von Kleinbetrieben und steigende Arbeitskosten; Experten siedeln deren Größenordnung allerdings im Promillebereich an.

Zwischen den Regierungsfraktionen knirscht es auch: Bei den Grünen gibt es, obwohl die Modelle anderer Bundesländer im Koalitionsvertrag ausdrücklich genannt werden, offenbar noch Widerstände gegen eine Freistellung für politische und allgemeine Bildung sowie für ehrenamtliches Engagement. Dieser Ängstlichkeit stellt sich ein jetzt konstituiertes „Bündnis für Bildungszeit“ entgegen, dem Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Landesjugendring, Weiterbildungs-Dachorganisationen, Umweltgruppen und Kirchen angehören und das klarstellen will, dass das Projekt „Bildungszeit“ aus der gesamten Breite der Gesellschaft unterstützt wird.

 

 

Gründungserklärung „Bündnis Bildungszeit für Baden-Württemberg“:
http://bw.dgb.de/presse/++co++ae34cffa-e262-11e3-9aed-52540023ef1a?t=1

Bildungsurlaub in Bremen – Vorschläge zur Weiterentwicklung

Es gibt Bundesländer, die das Instrument der Bildungsfreistellung so schätzen, dass sie es regelmäßig beobachten und evaluieren. Im Land Bremen wurden jetzt Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, in der Wirkungen der 2010 erfolgten Gesetzesänderung, Nutzungstendenzen und Schlussfolgerungen für die Zukunft formuliert wurden.
Ein Team der Universitäten Bremen und Hannover hat Teilnehmende und Planer*innen befragt, Statistiken und Angebote analysiert und u.a. festgestellt, dass der Bildungsurlaub viele „Wiederholungstäter“ kennt, aber mit flexiblen Zeit- und Inhaltskonzepten auch immer wieder neue Gruppen erreichen kann.
Zu den Handlungsempfehlungen für Politik und Sozialpartner gehören u.a. diese Punkte:
• Der Begriff des Bildungsurlaubs sollte durch einen anderen Begriff ersetzt werden, etwa Bildungsfreistellung.
• Ablaufmodelle zur Aushandlung und Beantragung von Bildungsfreistellung in Unternehmen und Organisationen wären wünschenswert.
• Betriebsräte sollten als Multiplikatoren für die Information, Beratung und Aushandlung von Bildungsfreistellung in Unternehmen geschult werden.
• Bildungsplaner/innen sollten sich für die Entwicklung neuer Formate der Bildungsfreistellung in allen Bildungsbereichen fortbilden
Auch für die pädagogische Planung der Bildungsangebote gibt es Empfehlungen, z.B.:
• Der identifizierte weite Bildungsbegriff zwischen politischem Handeln und Reflexion, Employability und Beruflichkeit sowie individueller Entfaltung, Kulturalität und leiblich-emotionaler Stabilisierung ist in Balance weiter zu entwickeln.
• Fortschreibung der Langzeitformate mit den entwickelten Konzeptionen und Entwicklung neuer Zeitformate und Veranstaltungsformen für verschiedene Adressatengruppen.
• Neue Planungskategorien für neue Zielgruppen sind zu eruieren, z.B. für junge Erwachsene Sozialraumbezug oder mediale Einbettung.
• In der beruflichen Bildung sollten Kompaktformate beibehalten und gestufte Zeitformate mit konzeptionellen Neuüberlegungen weiter ausgebaut werden.
• Die Ausdifferenzierung der Gesundheitsbildung und Kulturellen Bildung entsprechen einem anhaltend hohen Bedarf. Sie dienen sowohl der Entfaltung des Individuums als auch dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit und sollten weiter ausgebaut werden.
• Geschlechterverteilung der Teilnahme sowie die Inhalte des Bildungsurlaubs sind unter Genderaspekten kritisch zu analysieren.
Quelle: www.arbeitnehmerkammer.de/cms/upload/Politikthemen/Bildung/20140205_BU_Robak_Heidemann_Pohlmann_Rippien.pdf [Abruf 6.6.2014]

Tagung „Bildungsurlaub in NRW“ – Licht am Ende des Tunnels

Am 28.3.14 fand in Dortmund zum fünften Mal die Fachtagung „Bildungsurlaub in NRW“ statt.

NRW als größtes Bundesland mit Bildungsfreistellung ist immer ein interessantes Barometer für Entwicklungen – und tatsächlich tut sich etwas – nicht nur in NRW.

Hier die wichtigsten Statements:

Der Leiter der VHS Dortmund, Heinz Bünger, begrüßte rund 120 Pädagog/innen und andere Fachleute aus Bildungseinrichtungen mit der Nachricht, dass die VHS Dortmund ihr Bildungsurlaubs-Angebot in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut habe – und die Nachfrage wachse.

Heike Maschner, Referatsleiterin im Bildungsministerium des Landes NRW betonte die Zustimmung der Politik zum Bildungsurlaub in NRW und wies auf Überlegungen hin, ob künftig auch Auszubildende in den Genuss der Bildungsfreistellung kommen können  – wie in einigen anderen Bundesländern bereits Praxis.

Wie stark sich in der Praxis die Inanspruchnahme des Bildungsurlaubs versachlicht hat, belegte Norbert Reichling mit einem Blick in die Kindertage des Bildungsurlaubs in den 80er Jahren, als gerade in NRW eine Lawine von Prozessen um den Bildungsurlaub die Arbeitsgerichte beschäftigte. Heute ist Bildungsfreistellung längst kein Aufreger mehr, sondern wird sogar als wirkungsvolles Instrument lebenslangen Lernens gesehen, das Antworten auf Fragen wie Fachkräftemangel und Qualifikationserhalt bei längerer Lebensarbeitszeit bieten kann.

Neben der berufsbezogenen Bildung ist die Politische Bildung über die Jahre mit 15% Anteil die zweite Säule im Bildungsurlaubsangebot, wie Bernhard Eul-Gombert in seiner Auswertung von 50.000 Seminaren von 1997 bis heute herausfand. Nach 10 Jahren eher gleichbleibenden Seminarvolumens ist die eigentliche Überraschung das dynamische Wachstum des Kurs-Angebots seit 2010 um 20% in NRW, das mit einem ebenso großen Wachstum bei der Nachfrage ( an NRW-Angeboten) über die Plattform Bildungsurlaub.de korrespondiert.

Deutlich verändert hat sich das Marketing der Bildungseinrichtungen in den letzten Jahren: immer mehr Bildungsurlaube werden länderübergreifend geplant und beworben – auch wenn der Verwaltungsaufwand für die in jedem Bundesland abweichende Regelung Antragstellung erheblich ist.

Das zunehmende mediale Interesse am Bildungsurlaub in Print- wie Online-Medien hat diese Aufwärts-Entwicklung sicher gestützt. Inwieweit die Nachfrage und das Angebot nur dem kompakten Seminarformat und den Inhalten galt oder auch Bildungsfreistellung in Anspruch genommen wurde, lässt sich für NRW nicht sagen – es gibt keine offizielle Teilnehmerstatistik.

Die von Dr. Klaus Brülls geleitete Podiumsdiskussion leuchtete die Firmen-Perspektive aus: bis in kleine und mittlere Unternehmen hinein hat sich der Blick auf den Bildungsurlaub versachlicht, wird im besten Fall sogar als sinnvolles Instrument gesehen, das positiv begleitet wird.

Die rege Teilnahme an den Workshops belegte das Interesse der Planer/innen an neuen Impulsen für die eigene Arbeit. Workshop-Themen: Informationen zur praktischen Planung von AWbG-Seminaren, Strategien für die Bildungsurlaubs-Anerkennung in anderen Bundesländern und Marketingstrategien für den Bildungsurlaub.

Materialien stehen online unter http://www.bildungsurlaub.de/tagung2014

Thüringen rudert rückwärts!

Da waren’s wieder 12 (Bundesländer):
Heute – um kurz nach 18 Uhr – hat der Landtag von Thüringen die Gesetzesinitiativen zur Bildungsfreistellung für diese Legislaturperiode „beerdigt“. Gesetzentwürfe und Anträge der Linken und von Bündnis 90/Grünen wurden mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP abgelehnt, die Große Koalition wird entgegen ihrer Koalitionsvereinbarung bis zur Landtagswahl im September keinen eigenen Regierungsentwurf mehr einbringen, weil sie sich nicht einigen konnte. (Der Streit dreht sich um die „Belastung“ der Wirtschaft.) Die SPD konnte sich  nicht dazu durchringen, dem von der Linken-Fraktion ins Parlament eingebrachten Referentenentwurf ihres eigenen Bildungsministers Matschie zuzustimmen.

Bildungsurlaub überspringt Ländergrenzen

Veranstalter von Bildungsurlaub lassen ihre Seminare zunehmend in immer mehr Bundesländern anerkennen – und die mobilen Teilnehmer-/innen ziehen mit: sie entscheiden sich immer häufiger für Veranstaltungen außerhalb des eigenen Bundeslandes.

Diese Entwicklung zur De-Regionalisierung beschrieb Bernhard Eul-Gombert anlässlich einer Tagung zum Bildungsurlaub in NRW im März 2014: er hatte knapp 10.000 Bildungsurlaube von NRW-Veranstaltern aus den letzten 3 Jahren auf die Anerkennung in anderen Bundesländern hin untersucht und festgestellt, dass die Zahl der Anerkennungen in diesem kurzen Zeitraum um rund 80% gestiegen ist: während 2010 jedes Seminar durchschnittlich 1,4 Länderanerkennungen (zusätzlich zum eigenen Bundesland, hier NRW) besaß, waren dies 2013 bereits 2,5 – der Trend hält weiter an.) Umgekehrt lassen sich mehr Veranstalter deutschlandweit in NRW anerkennen.

Der Nutzen für Veranstalter liegt auf der Hand: die Zahl der potenziellen Teilnehmer/-innen wächst dramatisch mit dem größeren Einzugsgebiet – ein unschlagbares Marketing-Argument. Auch für Bildungsurlaubs-Suchende ist es eine gute Entwicklung: die Auswahl an Seminaren steigt und damit die Chance auf genau das richtige Kursangebot. Häufig ist die Passgenauigkeit von Inhalt und Termin heute wichtiger als die Nähe zum Wohnort. Spezialisten-Themen finden nur bei überregionalem Einzugskreis ausreichend Teilnehmende. Mit der Anzahl der Angebote steigt so auch die Attraktivität des Bildungsurlaubs allgemein.

Die Entwicklung erklärt Eul-Gombert auch mit der in den letzten Jahren entstandenen Transparenz auf dem Bildungsmarkt: Bildungsdatenbanken wie die Bildungsurlaub.de erlauben eine länderübergreifende Recherche, welche Seminare wo anerkannt sind. Das nutzen immer mehr Veranstalter: die Zahl der dort veröffentlichten Seminare, wie auch die Besucherzahlen steigen kontinuierlich.

Für Veranstalter hat die Entwicklung aber auch Schattenseiten: der Verwaltungsaufwand für die Anerkennung in jedem einzelnen Bundesland ist erheblich und setzt Knowhow voraus: die Anerkennungsvoraussetzungen der einzelnen Länder weichen voneinander ab, teilweise sind die Anerkennungen auch gebührenpflichtig. Viele Veranstalter wählen darum die für sie nützlichsten Länder aus. Besonders beliebt: die Nachbarländer, sowie die Stadtstaaten. Bemerkenswert ist eine Initiative des Saarlandes: in anderen Ländern bereits anerkannte Bildungsurlaube gelten hier automatisch auch als anerkannt.

 

Neuer Fach-Blog zum Bildungsurlaub

An dieser Stelle erscheinen künftig – in loser Folge, wie es so schön heißt – Beiträge rund um den Bildungsurlaub in Deutschland.

Er richtet sich an Planerinnen und Planer und Fachleute allgemein, die am Thema arbeiten.

Inhaltliche wie organisatorische Fragen, Themen wie Marketing, Neues zum Stand der politischen Diskussion, aber auch Kundenbedürfnisse und neue Trends werden hier Raum haben.

Die Idee dazu entstand nach einer Tagung zum Bildungsurlaub in NRW, die zwei Dinge deutlich werden ließ: ein wachsendes Interesse am Thema – sowohl bei Teilnehmenden als auch bei Planenden, vor allem aber auch ein großes Bedürfnis nach Austausch und Diskussion unter den Planer/-innen und anderen Expert/-innen.

Darum gibt es ab heute den Bildungsurlaub-Fach-Blog.

Interessiert? Einfach abonnieren: www.bildungsurlaub.de/blog/feed

Ihre Kommentare sind willkommen, für Gastbeiträge nehmen Sie bitte einfach Kontakt mit mir auf: [email protected]

Ihr

Bernhard Eul-Gombert