Corona und die Arbeit im Home Office bringt viele Arbeitnehmer*innen erstmals mit Online-Arbeitstechniken wie Digital-Konferenzen und Online meetings in Berührung. Die naheliegende Frage nach Online-Bildungsurlauben beschäftigt offenbar auch viele – Veranstalter und Seminarsuchende. Das Interesse scheint so groß, dass gleich mehrere Bundesländer auf ihren Infoseiten dazu aktuelle Informationen veröffentlichen.
Einige Veranstalter (z.B. aus dem Sprachschulbereich) sind diesbezüglich bereits gut aufgestellt und hoffen auf die Rettung Ihres Geschäfts, manche Arbeitnehmer*innen wollen die Social Distancing-Phase sinnvoll für einen Bildungsurlaub nutzen.
Dem entgegen stehen die Tradition des Bildungsurlaubs als intensiv-kompaktes Lernkonzept, das online nur bedingt reproduzierbar ist – ein Konzept, das formal in Stein gemeißelt ist durch die Bildungsurlaubsgesetze der Länder: ausschließlich im Baden-Württembergischen Bildungszeitgesetz kommt das Wort „online“ überhaupt vor. (Online-Bildungsurlaube sind gleichwohl nicht vorgesehen).
Entsprechend ernüchternd fallen auch die neuen Hinweise auf den Webseiten von Hamburg und Berlin aus: Online-Bildungsurlaube seien bisher nicht anerkannt – und auch nicht anerkennungsfähig. Ein Schlupfloch wird immerhin eröffnet – abweichende freiwillige Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber seien möglich. Konkret bedeutet das: Der Arbeitgeber kann einen Online-Kurs trotz fehlender BU-Anerkennung akzeptieren und der Arbeitnehmer sieht in der Folge damit seinen Bildungsurlaubsanspruch als abgegolten an.
Das ist nun nicht wirklich neu, individuelle Absprachen waren auch schon vor Corona möglich und Realität. Als breites Modell taugen sie allerdings nicht, auch wenn jetzt Veranstalter die aktuelle Situation als Einstieg in Online-Lernformen nutzen wollen.
Baden-Württemberg geht jetzt einen Schritt weiter: es empfiehlt Arbeitgebern, Online-Seminare als Bildungsurlaub während der aktuellen Phase zu akzeptieren. Das ist noch keine neue Rechtsposition, darf aber als wichtiger Diskussionsbeitrag verstanden werden. Da der Bildungsurlaub ja Arbeitszeit zum Lernen umwidmet, wird die Anwesenheit im Seminarkontext gefordert und vom Veranstalter attestiert. Ein 6-8 Ustd. Seminartag gilt als Pendant zum ganzen Arbeitstag. Hier werden nun die Unterschiede in den Konzepten verschiedener Online-Lernformen deutlich. Reine Online-Selbstlernprogramme, die bei freier Zeiteinteilung durchgearbeitet werden können (wie früher in Fernlehrgängen üblich) erfüllen den zeitlichen Nachweis nicht so, wie es ein Online-Seminar kann: bei diesem findet ein Online-Kurs in Echtzeit statt, Interaktionen mit Lehrenden und anderen Teilnehmenden sind über eine classroom software realisiert, eine Teilnahme über eine definierte Seminardauer kann seriös bescheinigt werden. Ein wesentlicher Unterschied zum traditionellen Präsenzseminar: die Beteiligten sind nicht mehr im gleichen Gebäude, sondern in einem digitalen Seminarraum verbunden.
Digitale Lernformen sind längst Realität in der Bildungslandschaft und haben eine eigene Infrastruktur entwickelt mit eigenen Geschäftsmodellen und Suchplattformen. Die Volkshochschulen arbeiten in ihrer verbandseigenen VHS Cloud. Ob auch der Bildungsurlaub sich dieser Lernform öffnet, hängt im Kern davon ab, ob die Bundesländer digitale Seminare künftig anerkennen. Eine interessante Frage ist, ob es dafür überhaupt Gesetzesänderungen bedarf. Die konsequente Nichterwähnung von Online-Seminaren in den Gesetzestexten könnte den Schluss zulassen, dass sie nicht explizit ausgeschlossen sind – dann wäre lediglich Inhalt und Dauer ein Anerkennungskriterium, das sich auf Online-Seminar durchaus beziehen ließe. Ob die Anerkennungsbehörden das ähnlich sehen werden, bleibt bis zum Bescheid der ersten Online-Anerkennungs-Anträge offen. Dass die Corona-Krise Bewegung in die Diskussion bringt, lässt sich daran ablesen, dass Thüringen und Niedersachsen keine Probleme darin sehen, bereits anerkannte Seminare begrenzt bis zum 19 April online durchführen zu lassen.
Auf einem anderen Blatt steht, ob Arbeitnehmer*innen 30 Wochenstunden dauernde Online-Seminar am heimischen Notebook einem traditionellen Präsenz-Seminar vorziehen werden.
P.S.
Die Landesregierung von NRW hat einen Gesetzesentwurf zu Covid vorgelegt, das Online-Bildungsurlaube bis Ende 2020 erlaubt, „sofern die Angebote nachweislich einen entsprechenden Zeitrahmen umfassen.“ Das Gesetz soll in den Osterferien ins Parlament – und wäre dann die erste gesetzliche Regelung für reine Online-BUs bundesweit.
P.P.S
Am 14.4.2020 hat das NRW-Parlament das sog. COVID-Bewältigungsgesetz verabschiedet – incl. der Erweiterung auf Online-Bildungsurlaube. Damit gibt es die erste gesetzliche Regelung für Online-BUs, allerdings beschrämkt auf das Jahr 2020. Ob dies zu einer Dauerregelung wird, bleibt allerdings anzuwarten.
P.P.P.S vom 15.4.2021
Sachsen-Anhalt genehmigt übrigens Online-Bildungsurlaube auf Antrag. Denn: Im Gesetz sind Online-Formate sind nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund wurden Einzelanfragen von Veranstaltern, die es dazu gab, positiv beschieden. Gemeint sind allerdings Live-Online-Seminare, nicht Selbstlern-Konserven. Bildungsträger müssen sicher stellen, dass die Teilnehmer*innen auch wirklich an der Veranstaltung teilnehmen.
Niedersachsen und NRW haben übrigens die Genehmigung für Online-Seminare bis Ende 2021 verlängert, Hamburg hat sich angeschlossen.